Was ist eine Emotionsregulatonsstörung?
Was passiert im Innenleben von Kindern und Jugendlichen, die an einer Emotionsregulationsstörung leiden? Wie fühlt es sich an, die eigenen Emotionen nicht regulieren zu können? Und was kann helfen? Das erklärt Dr. med. Harald Schneeweiss, Oberarzt an der LWL-Universitätsklinik Hamm.
Was genau verstehen wir unter einer Emotionsregulationsstörung?
Wir alle kennen das Erleben von Emotionen – wir empfinden Freude, manchmal Wut oder Trauer, manchmal sind wir ängstlich. Bei der Emotionsregulation geht es darum, mit diesen unterschiedlichen Gefühlen umzugehen. Das ist gar nicht immer so leicht, gerade bei unangenehmen Gefühlen. Da sind Strategien gefragt, um zu erkennen, wie ich mich gerade fühle, dieses Gefühl auch zuzulassen und dann zu schauen: Wie gehe ich nun flexibel damit um? Betroffene mit einer Emotionsregulationsstörung haben hierfür nicht ausreichend Strategien. Sie haben Schwierigkeiten, die Gefühle wahrzunehmen, zu steuern und auszuhalten und ihre Impulse zu regulieren.
Was passiert da im Innenleben von betroffenen Kindern und Jugendlichen?
Viele Patient:innen berichten von starken Stimmungsschwankungen. Sie empfinden wellenartig ganz unterschiedliche Emotionen und erleben Gefühle viel intensiver als andere. Es kommt dadurch zu starken Anspannungszuständen, aus denen Betroffene nur schwer wieder herauskommen und die sie nur schwer aushalten können. Es gibt auch Betroffene, die ihre Gefühle überhaupt nicht mehr zulassen wollen. Das kostet natürlich sehr viel Energie. Man kann sich das wie mit einem Wasserball vorstellen: Wenn ich versuche, diesen unter Wasser zu halten, ist das unglaublich anstrengend, irgendwann lässt meine Kraft nach und der Ball taucht wieder auf, vielleicht in Situationen, in denen es gar nicht passt.
Wie kann sich eine Emotionsregulationsstörung bei Kindern und Jugendlichen äußern?
Das ist ganz unterschiedlich. Viele Betroffene entwickeln sogenannte dysfunktionale Strategien, um unangenehme Gefühlszustände zu beenden, in dem sie sich beispielsweise selbst verletzten, Alkohol oder Drogen konsumieren. Das sind allerdings nur scheinbare Lösungen, die lediglich kurzfristig wirken, langfristig schädlich sind und die Probleme, die zu der starken Anspannung führen, nicht beheben. Eine Emotionsregulationsstörung kann sich aber auch in Wutausbrüchen und nach außen gerichteten aggressiven Verhaltensweisen äußern. Etliche betroffene haben auch Suizidgedanken.
Wo liegen die Ursachen einer Emotionsregulationsstörung?
Ein gutes Erklärungsmodell für die Entstehung einer Emotionsregulationsstörung ist das Biosoziale Modell. Zum einen spielt die Veranlagung eine Rolle. Genauso wie es Menschen gibt, die besonders sportlich oder kreativ sind, gibt es auch Menschen, die Gefühle intensiver erleben. Zum anderen spielen auch immer Erfahrungen und zwischenmenschliche Interaktionen eine Rolle. Die Emotionsregulation ist keine angeborene Fähigkeit, wir müssen erst lernen, mit unseren Gefühlen umzugehen, wozu wir die Unterstützung unseres sozialen Umfeldes brauchen. Dies ist bei unseren Patient:innen aus unterschiedlichen Gründen nicht gut gelungen
Wie sieht die Behandlung bei einer Emotionsregulationsstörung aus?
Eine durch Studien nachgewiesene wirksame Behandlungsmöglichkeit für Kinder und Jugendliche ist die Dialektisch Behaviorale Therapie für Adoleszente, kurz DBT-A. Hier in der LWL-Universitätsklinik Hamm bieten wir diese auf unserer Mädchenstation A20 an. Die Therapie besteht aus mehreren Modulen, sowie ein Haus aus verschiedenen Bestandteilen besteht. Das Achtsamkeitstraining bildet das Fundament. Dann gibt es noch die Module „Umgang mit Gefühlen“, „Stresstoleranzskills“, „Zwischenmenschlichen Skills“ und „Selbstwert“. In Rahmen von Gruppentrainings und Einzeltherapien lernen die Jugendlichen, die eigenen Gefühle zuzulassen, sie zu verstehen und anzunehmen. Es werden Strategien erarbeitet, um mit den Gefühlen umzugehen, weniger impulsiv zu reagieren. Wichtig dabei ist ebenso, eine positivere Einstellung zu sich selbst zu entwickeln.
Wie können die Angehörigen unterstützen?
Oftmals fühlen sich die Angehörigen mitschuldig, sie machen sich Sorgen und verstehen ihre Kinder nicht – denn es fällt den Kindern schwer, mitzuteilen, was in ihnen abläuft. Wichtig ist, dass die Eltern die Situation annehmen und Geduld haben, es gibt keine schnellen Lösungen. Eltern sollten ihren Kindern keine Vorwürfe machen, wenn diese sich beispielsweise selbst verletzt haben, es hilft auch nicht, dies zu verbieten. Stattdessen sollten sie ihre Kinder bei der Suche nach professioneller Hilfe unterstützen. In der DBT- A gibt es für Eltern bzw. Bezugspersonen das Modul „Den Mittelweg finden“. Hier erhalten die Eltern wichtige Informationen über die Erkrankung, die Therapie und einen möglichen Umgang damit. Eltern müssen einen Mittelweg finden zwischen Überengagement und einer Laissez-faire-Haltung.