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Safewards - ein spannendes Modell

Konfliktpotenziale frühzeitig erkennen, um Krisensituationen zu vermeiden – das ist der Gedanke hinter „Safewards“. Lässt sich das Modell auch im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie anwenden? Mit dieser Frage setzte sich Nadia Basarir 2016 im Rahmen ihrer Bachelorarbeit auseinander. „Die Klinikleitung und auch die Stationsteams sahen hier ein großes Potenzial. Gemeinsam haben wir das Modell so angepasst, dass wir auch junge Patient:innen damit erreichen“, so die Pflegeexpertin. Inzwischen arbeiten sechs Stationen der LWL-Universitätsklinik Hamm erfolgreich mit Safewards.

„Safewards“ – Klingt spannend, aber was genau ist das für ein Modell?

Safewards ist ein super spannendes Modell. Es liefert einen Erklärungsansatz für die folgende Frage: Warum kommt es im Stationsalltag psychiatrischer Kliniken zu Konflikten, die Eindämmungsmaßnahmen erfordern? Len Bowers, Professor für Psychiatrische Pflege in England, hat das Modell entwickelt – ursprünglich für den Akutbereich der Erwachsenenpsychiatrie. Safewards soll dabei helfen, Konflikte durch das Erkennen von Ursprungsfaktoren sowie den Einsatz unterschiedlicher Interventionen zu vermeiden. Dieser Ansatz ist auch für die Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr interessant.

Was ist in diesem Kontext unter Konflikten zu verstehen?

Die Kinder und Jugendlichen kommen mit unterschiedlichen psychischen Erkrankungen zu uns. Es gibt Patient:innen, die ihre Emotionen nicht steuern können, die sich selbst verletzen oder ihren Mitmenschen gegenüber schnell aggressiv werden. Im Stationsalltag kann es daher zu schwierigen Situationen kommen, in denen die Stationsmitarbeiter:innen reagieren müssen. Lässt sich der Patient durch ein Gespräch erreichen? Ist es verantwortbar, ihn alleine in seinem Zimmer zu lassen, damit er sich beruhigen kann? Ist es notwendig, ihn in eine reizabgeschirmte Umgebung zu bringen? Es geht vorrangig immer darum, den Patienten oder die Patientin vor sich selbst zu schützen. Der Gedanke hinter Safewards ist, es gar nicht so weit kommen zu lassen.

Wo setzt das Modell an?

Safewards setzt bei den Ursprungsfaktoren an. Die Stationsteams sollen diese mithilfe des Modell frühzeitig erkennen können, um sie im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen. Die zentrale Frage ist immer: Welche Einflüsse wirken auf die Patient:innen? Mir gefällt an dem Modell, dass es auf eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter:innen und Patient:innen abzielt.

Wo liegen laut Safewards mögliche Konfliktpotenziale?

Das Modell benennt da mehrere Faktoren. Zum Beispiel: Wie ist das Stationsteam organisiert? Geht es sehr chaotisch auf der Station zu, kann das zu Stress bei den Kindern und Jugendlichen führen. Auch die räumliche Umgebung ist wichtig. Ist das Mobiliar alt und verbraucht, fühlen sich Patient:innen nicht wohl. Ebenso ist die Gruppendynamik unter den Patient:innen zu beachten. Wie interagieren sie untereinander? Gibt es vielleicht irgendwo Streitpunkte? Neben den klinikinternen Aspekten spielen auch externe Faktoren eine Rolle – die Familiensituation, die Schulsituation, Spannungen im sozialen Umfeld. Ist ein Patient freiwillig in der Klinik oder gibt es einen richterlichen Beschluss? Und natürlich zeigt jedes Kind, jeder und jede Jugendliche individuelle Eigenschaften und Verhaltensweisen. Ziel ist es, all diese Faktoren im Blick zu haben, um Konflikten vorzubeugen.

Das ist nun alles sehr theoretisch – können Sie das Ganze anhand eines Beispiels näher erläutern?

Stellen wir uns Folgendes vor: Ein Patient im stationären Bereich soll bald in eine Wohngruppe ziehen. Es gibt viele Konflikte in der Familie, die Mutter leidet selbst an Depressionen und die Wohnsituation ist für niemanden mehr zumutbar. In einem ersten Gespräch hat das Stationsteam mit der Mutter über diese Perspektive gesprochen. Der Patient weiß davon noch nichts. Ruft die Mutter ihren Sohn abends an und erzählt ihm davon – ohne jede Vorbereitung – kann das zu einem Konflikt führen. Er könnte überfordert sein, aggressiv reagieren. Wissen die Stationsmitarbeiter:innen: Da gibt es externe Faktoren, die Mutter handelt manchmal unbedacht, können sie frühzeitig reagieren. Zum Beispiel, indem sie ihr gegenüber ganz deutlich kommunizieren, dass das Thema nur in einem begleiteten Gespräch geklärt werden sollte.

Das Modell knüpft an den Ursprungsfaktoren an, sieht gleichzeitig aber auch verschiedene Interventionen vor. Was hat es mit diesen Interventionen auf sich?

Die zehn Interventionen sind Maßnahmen, die dabei helfen sollen, Konflikte und dadurch notwendige Eindämmungsmaßnahmen von vorneherein zu reduzieren. Sie können kreativ ausgestaltet und angepasst werden, wichtig ist aber, dass alle zehn auch wirklich umgesetzt werden. Die Interventionen basieren auf Erfahrungen ehemaliger Patienten, die im Rahmen der Entwicklung des Modells erzählt haben, was ihnen während ihres Aufenthalts in der Psychiatrie geholfen hat und was nicht.

Was sind das für Maßnahmen – können Sie da Beispiele nennen?

Eine Intervention ist beispielsweise das Klären gegenseitiger Erwartungen. Welche Erwartungen hat das Team an die Patient:innen und welche Erwartungen haben die Patient:innen an das Team? Wir haben gemeinsam mit den Jugendlichen ein Poster dazu gestaltet, welches wir auch immer mal wieder in Gruppengesprächen thematisieren. Generell spielt eine offene, verständnisvolle Kommunikation eine große Rolle. Daher ist eine weitere Maßnahme das gegenseitige Kennenlernen. Auf unseren Stationen hängen Fotos der Teammitglieder mit kleinen Steckbriefen. Dort stehen dann Hobbys oder Lieblingsfilme, das Lieblingsbuch. So ergeben sich Anknüpfungspunkte für Gespräche. Kommen die Patient:innen zu uns, müssen sie hier sehr viel von sich preisgeben – da ist es schön, wenn auch die Mitarbeitenden einen kleinen Einblick in ihr Leben geben. Die Entlassnachrichten auf den Stationen gehören ebenfalls zu Safewards. Die Jugendlichen hinterlassen kleine Nachrichten für zukünftige Patient:innen – um ihnen Mut zu machen.

Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit Safewards?

Unsere Erfahrungen sind sehr positiv. Die Teams auf den Stationen sind da sehr motiviert. Und das ist die Voraussetzung, dass die Anwendung von Safewards auch nachhaltig wirken kann. Die Umsetzung muss regelmäßig auf Aktualität überprüft werden, sonst funktioniert es nicht. Gelingt das, kann Safewards meiner Meinung nach einen wertvollen Beitrag dazu leisten, den Umgang mit Konflikten zu optimieren.