Tiergestützte Intervention - Wertvolle Erfahrungen
Ein sanfter Wind weht durch die Bäume und bringt den Duft nach frischem Heu und nasser Erde mit sich, umliegende Felder leuchten in sattem Grün, zahlreiche Vögel zwitschern munter gegen das leichte Rauschen einer naheliegenden Straße an, während Traktoren und Heuwagen noch friedlich vor sich hinschlummern. „Und wie heißt die Kleine?“ fragt Lisa (*Name geändert) und zeigt auf eins der vielen Schafe vor sich, die auf der großen Wiese grasen. „Welchen Namen würdest du ihm denn geben?“, antwortet Jacqueline Schneppe, Heilpädagogin an der LWL-Universitätsklinik Hamm. Lisa hat direkt eine Idee.
Es ist Dienstagmorgen, 10 Uhr. Einmal in der Woche fahren Kolleginnen und Kollegen der Fachabteilung Fertigkeiten- und Interaktionszentrierte Therapien (FIT) mit Patientinnen und Patienten der Klinik sowie der Tageskliniken zur Nutztierarche „Arche Sonntag“ in Hamm Uentrop. Die pro Dienstag zwei teilnehmenden Gruppen bestehen jeweils aus vier Kindern und Jugendlichen aller Altersgruppen. Jeder junge Mensch nimmt vier dieser Termine wahr. Gestartet ist dieses Angebot der „Tiergestützten Intervention“ im Sommer.
Draußen in der Natur
Der Nutztierhof ist ein Bauernhof, der sich auf den Erhalt und den Schutz alter Nutztierrassen sowie auf artgerechte, tierwohlachtende Haltung spezialisiert hat, auch Tiere aus der Tierrettung finden hier ein Zuhause. Nutztierarchen bilden so einen wichtigen Baustein zum Verständnis von Tierhaltung, Ernährung und dem verantwortungsbewussten Umgang mit natürlichen Ressourcen.
„Die Kinder und Jugendlichen können hier wertvolle Erfahrungen sammeln. Sie sind in der Natur, haben beispielsweise die Möglichkeit Tiere zu streicheln, zu füttern oder dabei zu helfen, Ställe auszumisten“, erklärt Jacqueline Schneppe, die heute gemeinsam mit ihrer Kollegin Mariam Seytuni die Tiergestützte Intervention begleitet. Die Interaktion mit den Tieren im ökologischen Setting könne gezielt zur Motivation und Aktivierung in der Therapie beitragen.
Förderung von Empathie und Impulskontrolle
„Die Kinder und Jugendlichen müssen auf die Bedürfnisse der Tiere achten und Rücksicht nehmen. Bin ich selbst unruhig, sind auch die Tiere unruhig, das erschwert dann den Kontakt“, so Mariam Seytuni. Gleichzeitig gehe es darum, Verhaltensregeln zu akzeptieren und umzusetzen. Dies unterstütze die Förderung von Empathie und Impulskontrolle. Die Tiere geben dabei stets spontane Rückmeldungen, frei von gesellschaftlichen Erwartungen oder gesellschaftlich erwünschtem Verhalten.
So ist beispielsweise viel Geduld bei der Fütterung der Hühner gefragt, denn bis diese genug Vertrauen fassen, um den Kindern aus der Hand zu picken, dauert es schon mal. Das merken auch Nele und Aylin (*Namen geändert), die sich zwei Hocker geschnappt haben und umsichtig warten. „Klappt es dann aber, ist das ein echtes Erfolgserlebnis und steigert den Selbstwert“, berichtet Mariam Seytuni.
Was traue ich mir zu?
Im Gegensatz zu den Hühnern ist der Ganter Gustav so gar nicht schüttern. Laut vor sich hin schnatternd läuft er durch sein weitläufiges Gehege. Dort hineinzugehen sei für viele Kinder erst einmal eine Überwindung, erklären die Kolleginnen. „Wer sich dann doch traut, ist meist dann ziemlich stolz!“ Auch das Dexter-Rind Paul mit Lockenkopf ist bei der Möhren-Fütterung am Zaun ziemlich fordernd, bringt die Kinder und Jugendlichen aber immer wieder zum Lachen, ebenso wie die Husumer Sattelschweine, die sich zu gerne streicheln lassen.
Mit welchem Tier sich die Kinder und Jugendlichen bei ihrem Besuch beschäftigen möchten, können sie sich aussuchen. Es gilt zu überlegen: Was traue ich mir zu? Was würde mir heute Freude machen? „Wir starten immer mit einer Befindlichkeitsabfrage und die Patientinnen und Patienten äußern ihre Wünsche, was sie unternehmen möchten“, so die Kolleginnen. Der Hof bietet viele Möglichkeiten. „Wir haben uns auch schon das ein oder andere Mal gemeinsam auf die Wiese zwischen die Schafe gesetzt und eine Geschichte gelesen“, erzählt Mariam Seytuni.
Soziale Kompetenzen stärken
Durch die unterschiedlichen Tiere ergeben sich viele Gesprächsthemen, welche das Gefühl von Zusammengehörigkeit fördern, soziale Kompetenzen können so gestärkt werden.
Am Ende des Besuchs sammeln die Kinder auf dem Hof für sich kleine Schätze und kleben diese auf eine Karte, reflektieren dann gemeinsam das Erlebte. Heute sind Federn, kleine Blumen und Grashalme dabei. Aus den Karten erstellt jeder Patient und jede Patientin nach den eigenen vier Besuchen ein kleines Heft. Eine schöne Erinnerung an Gustav, Paul und die anderen Tiere der Nutztierarche.