„Stillstand ist nichts für mich – ich möchte mich immer weiter nach vorne bewegen“
Vor über 30 Jahren begann Jutta Benz ihre Tätigkeit als Erzieherin an der LWL-Universitätsklinik Hamm. Seitdem ging es auf der Karriereleiter stetig hinauf. Inzwischen leitet die 52-jährige übergreifend zwei Stationen, sie hat erfolgreich den Bachelorstudiengang „Psychiatrische Pflege“ absolviert und spürt noch immer eine „Aufbruchstimmung“ in sich.
Frau Benz, angefangen haben Sie beim Pflege-und Erziehungsdienst (PED) der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Hamm im Jahr 1991. Was kommt Ihnen für ein Gedanke, wenn Sie auf Ihren Berufsweg zurückblicken?
Dass ich so gut wie alles richtiggemacht habe. Ich finde es sehr wichtig, dass man flexibel im Denken ist, vor Veränderungen keine Angst hat. Ich weiß noch, dass die erste Zeit an der Klinik für mich gar nicht so leicht war. Die Lebensgeschichten der Patienten und Patientinnen bewegen einen natürlich. Ich musste für mich selbst erst eine gute Resilienz entwickeln, um damit umgehen zu können. Ein Jahr habe ich mir Zeit dafür gegeben – und habe es geschafft. Dann war klar für mich: Hier bleibe ich! Seitdem habe ich mich kontinuierlich weiterentwickelt, durfte die vielfältigen Bereiche der Klinik kennenlernen, mit den unterschiedlichsten Patienten arbeiten und zunehmend dann auch Führungstätigkeiten wahrnehmen, ob als stellvertretende Stationsleitung, als Stationsleitung oder als Leitung des PED der LWL-Tagesklinik in Hamm.
Inzwischen sind Sie übergreifende Stationsleitung. Welche Aufgaben übernehmen Sie in dieser Funktion?
Genau, ich leite zum einen die Reha-Station, auf der junge Erwachsene mit stoffgebundenem Drogenkonsum Hilfe finden. Zum anderen bin ich zuständig für eine gemischtgeschlechtliche Psychotherapiestation im Jugendbereich mit dem Schwerpunkt Essstörungen. In meiner Position habe ich die Verantwortung für die Entwicklung und Sicherstellung einer fachlich qualifizierten Pflege auf den Stationen. Ich gestalte Prozesse und entwickele gemeinsam mit meinen Teams neue Ideen und Projekte, ich organisiere unter anderem das Ausfallmanagement und muss die Arbeitszufriedenheit und Motivation der Kolleginnen und Kollegen aufrechterhalten. Fünf Prozent meiner Stellenbeschreibung beinhalten auch den Kontakt zu den Patienten. Und dieser ist mir sehr wichtig, die Zeit nehme ich mir. So bekomme ich auch die Stimmung und Dynamik auf den Stationen mit und kann dies in meine täglichen Entscheidungen mit einbeziehen.
Was macht Ihnen bei all den Aufgaben denn besondere Freude an Ihrer Arbeit?
Freude macht mir, wenn ich meine beiden Stationen betrete, meinen Mitarbeitern begegne und sehe, dass diese trotz aller Herausforderungen gut gelaunt sind, humorvoll untereinander und auch mit mir umgehen. Und auch, wenn wir konstruktive Gespräche über die Patientinnen und Patienten führen, wenn die Kolleginnen und Kollegen die Ressourcen der Kinder und Jugendlichen hervorheben – das finde ich großartig.
Und was sehen Sie als größte Herausforderung?
Mit dem Einloggen ins System, also mit Dienstbeginn, muss ich alles andere, was gerade im Privaten eine Rolle spielt, ausblenden. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen sich auf mich, diesem Anspruch möchte ich zu jeder Zeit gerecht werden – ganz gleich, was mich gerade beschäftigt. Das habe ich immer als große Herausforderung empfunden. Ansonsten bin ich der Meinung, dass es für jedes Problem immer einen Lösungsansatz gibt.
War es auch die Suche nach einer Herausforderung, die Sie dazu bewogen hat, das Bachelorstudium „Psychische Gesundheit/Psychiatrische Pflege“ zu absolvieren?
Ich wollte beim Pflege- und Erziehungsdienst im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie bleiben, wollte aber auch Neues lernen. Als ich den berufsbegleitenden Studiengang an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld entdeckt habe, dachte ich: Mensch, das ist doch genau das, was du suchst. Der Studiengang wurde extra für Mitarbeitende aus der psychiatrischen Pflege entwickelt und zielt darauf ab, die Qualität der Pflege kontinuierlich zu verbessern. Mit Anfang 40 habe ich also angefangen zu studieren. 2016 habe ich das Studium dann erfolgreich abgeschlossen.
Inwiefern hilft das Studium im Berufsalltag?
Natürlich habe ich sehr viel fachliches Knowhow mitbekommen, das ich in tägliche Entscheidungen einbeziehen und auch an andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben kann. Ich fand außerdem großartig, dass sich durch das Studium mein Denken erweitert hat, vor allem durch den Blick auf Inhalte aus anderen Bereichen, wie der Erwachsenenpsychiatrie, der Forensik, auch durch den Austausch mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen. Man übt sich außerdem im kritischen Hinterfragen durch das wissenschaftliche Arbeiten und setzt sich mit komplexen Zusammenhängen auseinander. In der Kommunikation im multidisziplinären Team kann ich dadurch auf eine ganz andere Argumentationsfähigkeit zurückgreifen.
Der erfolgreiche Abschluss des Studiums war sicherlich ein besonderer Erfolgsmoment in Ihrer beruflichen Laufbahn. An welche anderen Erfolgsmomente erinnern Sie sich besonders gerne?
Natürlich, die Verteidigung meiner Bachelorthesis werde ich nie vergessen. Auch die Übernahme einer neuen Stelle ist immer ein spannendes Ereignis. Das sind die größeren Momente. Aber es gibt so viele kleine alltägliche Erfolgsmomente, die oftmals in der Patientenversorgung liegen. Wenn ein Familiengespräch gut gelaufen ist, oder ein Bezugsgespräch, oder wenn ein Patient im Nachgang sagt: Es war gut, dass ich hier war. Das gibt einem ganz viel. Und ich muss sagen: In mir ist noch immer eine Aufbruchstimmung, da ist immer noch Luft nach oben. Stillstand ist einfach nichts für mich, ich möchte mich immer weiter nach vorne bewegen.